Sonntag, 24. Mai 2020

Über Manspreading und männlichen Chauvinismus

Ich gehe leidenschaftlich, seit 25 Jahren, auf Metalkonzerte und bin mittlerweile mit 39 fast immer unter den Älteren. Ich liebe noch immer Progressive bis Death Metal, Hardcore, aber auch normalen Hard Rock. Ich bin sehr sportlich möchte ich noch dazusagen und topfit. Früher habe ich allerdings Alkohol getrunken, seit über 3 Jahren trinke ich keinen Tropfen mehr. Vielleicht bemerke ich deshalb das Verhalten von Männern besser, vielleicht waren mir früher, als ich noch nicht so (feministisch) reflektiert war, viele Sachen noch nicht so klar und wichtig wie heute. Nicht zuletzt schafft Betroffenheit Aufmerksamkeit. Vielleicht ist es das Alter, das mich klarer und auch kritischer sehen lässt, ich weiß es nicht. Aber folgende Punkte nerven mich vor allem bei Metalkonzerten wirklich ungemein. 
Denn folgendes sehe ich mittlerweile bei fast allen Konzerten: betrunkene Männer, die Frauen belästigen (auch mir ist das in den letzten drei Jahren schon passiert; früher sowieso) und Männer, die mehr Platz einnehmen als ihnen zusteht und mit ihrem Verhalten Frauen vertreiben. Ich zahle für die Eintrittskarte gleich viel wie die Typen, mir steht gleich viel Platz zu, ich habe genauso das Recht auf einen Platz ganz vorne an der Bühne. Und dort wäre ich auch gern: weiter vorne und damit vor und nicht hinter den großen Gestalten, die die Sicht behindern. Leider werde ich aber von Männern vertrieben, von weiter vorne nach weiter hinten. Das geschieht gar nicht immer absichtlich, aber es geschieht. Trotz meinem Kraft- und Ausdauertraining kann ich mich gegen jüngere Männer nicht durchsetzen und muss meinen Platz verlassen und lande am Ende vom Konzert zuverlässig (viel) weiter hinten. Das ist richtig lästig und meiner Meinung nach auch einfach unfair. Denn nirgendwo steht, dass Männer das Recht auf die vorderen Plätze gepachtet haben und/oder dafür extra zahlen würden.
Man kann dieses männliche Verhalten allgemein unter dem Begriff „manspreading“ subsummieren: ich meine damit mehr als das breitbeinige Sitzen in öffentlichen Verkehrsmitteln, nämlich die allgemeine Inanspruchnahme von viel (mehr) öffentlichem Platz bzw. Raum (als ihnen zusteht). Es ist den Männern nicht immer bewusst, dass ihre aggressive vereinnahmende Art - bei Konzerten etwa circle pits und moshpits - andere Menschen stören und vertreiben könnte. Sie sehen es nicht oder wollen es nicht sehen, dass sie mit diesem ihrem dominanten Territorialverhalten andere Menschen vertreiben. Das ist ein rücksichtsloser engstirniger egozentrischer Zugriff auf die Ressource (halb)öffentlicher Raum. Sie missachten den Anspruch anderer Menschen und meinen, ihr Anspruch wäre per se bzw. a priori mehr wert, da sie ja Männer sind. Und die Welt hat den Männern nie etwas anderes beigebracht bzw. gezeigt als dass sie die Norm sind und sie sich nach ihnen richtet. So definiert sich auch Chauvinismus: als Glaube an die Überlegeneheit der eigenen Gruppe – und jene heißt in diesem Fall Mann. Sie fühlen sich überlegen und werten andere Menschen, in diesem Fall Frauen (unbewusst) mit ihrem Revierverhalten ab. In unserem misogynen Patriarchat wird die männlichkeitsorientierte Perspektive auch nie wesentlich hinterfragt (zumindest nicht/nie von den Profiteuren) – das nennt sich Andozentrismus: der Mann als Norm, Maßstab und Zentrum der Welt. Die Frau und ihre Ansprüche werden zum "Anderen", das sich außerhalb der Norm befindet (siehe dazu sehr ausführlich etwa Simone de Beauvoir). Die Ansprüche der Frau werden dadurch abgewertet und nicht ernst genommen, oft nicht einmal wahrgenommen. Es ist egal, wie sich die Frau fühlt, ihre Gefühle, Meinungen, Gedanken sind nicht der Rede wert.
Glücklicherweise sehen das heutzutage nicht mehr alle Männer so, aber wir befinden uns mitten in einem Backlash aus einer ohnehin nicht ansatzweise befriedigenden Situation. Es ist gefährlich, dass sich unsere konservative Gesellschaft noch weiter zurückbewegt in Richtung 1950er Jahre. Die reaktionären gesellschaftlichen Kräfte spiegeln dabei die Vorgänge bei Metalkonzerten überraschender- wie traurigerweise sehr gut wider. Als Frau wirst du (wortwörtlich) mit deinen Bedürftnissen an den Rand gedrängt und bist nahezu hilflos.
Leider würde ich mir mittlerweile bei Konzerten eigene Frauenzonen wünschen, in denen ich nicht von Männern belästigt oder verdrängt werde.

Donnerstag, 7. Mai 2020

Kleine österreichische Corona-Manöverkritik

Ich stelle hier weder die Gefahr von Covid-19 in Frage noch die Sinnhaftigkeit des Lockdowns. Für mich steht außer Frage, dass das Coronavirus gefährlicher ist als das Grippevirus. Das hier ist also nichts für Verschwörungstheoretiker. Gleich zu Beginn möchte ich das aktuelle Addendum Nr. 12 empfehlen, das sehr kritisch berichtet hat. Außerdem hat in den letzten Wochen vor allem das Nachrichtenmagazin profil immer wieder kritisch berichtet bzw. mit kritischen Kommentaren geglänzt. Als drittes immer empfehlenswert ist der falter. Des weiteren habe ich u.a. die Zeitschrift news abonniert. Ich werde nicht alle Artikel, auf die ich mich beziehe, verlinken.

Wie gesagt, meiner Meinung nach war der Lockdown nötig, um ein explosionsartiges Ausbreiten des Virus zu vermeiden. Allerdings hat man wohl mit der Wieder-Eröffnung des Landes zu lange gewartet und nimmt hier Kollateralopfer und Kollateralschäden in Kauf, was nicht nötig wäre. In erster Linie geht es mir um die Kollateraltoten, die keine ausreichende medizinische Versorgung in den Spitalsambulanzen erhalten, keine oder zu späte Untersuchungen, keine oder zu späte Therapien. Die Früherkennung von Erkrankungen findet nicht ausreichend statt, viele Menschen erhalten weder eine rechtzeitige noch die richtige Therapie. Dass sogar lebensnotwendige Operationen bis zum Sankt Nimmerleins-Tag aufgeschoben wurden und werden, ist eine grob fahrlässige inakzeptable Sauerei zu Lasten vieler Schwerkranker und Leidender. Die etablierten Medien sollten das zum großen Thema machen und sich nicht ausschließlich auf die Wirtschaft konzentrieren.
Dann gibt es sicherlich noch Suizide - ein Thema, das man auch immer angreifen muss, denn es ist real (ich spreche aus eigener Erfahrung). Für viele Menschen wird dieser Shutdown auch zum seelischen und psychischen Lockdown, zurückgeworfen auf sich selbst, ohne soziale Kontakte oder einfache Umarmungen. Ohne einer Schulter zum Ausweinen kann selbst ein für Außenstehende simpel ausschauendes Problem für einen Menschen mit Vorerkrankung oder Prädisposition zum Desaster werden. Ja, Telefonnummern, wie unten verlinkt, und daraus resultierende Gespräche können im ersten Moment helfen, sind aber keine Dauerlösung - das persönliche Gespräch ist unersetzbar.
Auch wirtschaftlicher Untergang kann zu Suiziden führen. Und was ich so mitbekomme, funktionieren die wirtschaftlichen Hilfen wenig bis gar nicht. Ich lese in all meinen abonnierten Zeitschriften und Zeitungen, dass die Hilfen erstens viel zu bürokratisch zu beantragen sind, dass zweitens die Banken nicht so tun wie sie versprochenerweise tun sollten und dass drittens das Geld einfach nicht schnell genug oder gar nicht (wenn man nicht in die scharfen Kriterien fällt oder der falschen Berufsgruppe angehört) ankommt. Die Regierung scheint hier auf breiter Linie versagt zu haben. Das "Koste es was es wolle" stellt sich als Fata Morgana heraus. Näher werde ich auf das Thema Wirtschaft aber nicht eingehen, weil ich mich diesbezüglich nicht genug auskenne. Ich könnte nur die von mir gelesenen Artikel zusammenfassen.
Womit ich mich auskenne, sind Depressionen und ungenügende medizinische Versorgung. Und darum möchte ich noch einmal betonen, wie fahrlässig diesbezüglich der komplette Lockdown war und dass die Wieder-Eröffnung der Spitäler viel zu langsam vonstatten geht. Die Wirtschaft wurde schon abgewürgt, jetzt geht es darum, die Kollateraltoten des Shutdowns zu verhindern oder wenigstens zu vermindern.
Eine rasche Öffnung von Spitalsambulanzen inklusive Psychiatrien sowie aller PsychotherapeutInnen und PsychologInnen ist das Gebot der Stunde.
Ich hoffe, die Regierung wird so ehrlich sein und diese Kollateraltoten in ihre Rechnung miteinbeziehen.
Und man wird auch über den schwedischen Weg ernsthaft nachdenken müssen. Das werde ich im 2. Teil thematisieren...

Krisentelefonnummern

Notrufnummern bei Depressionen

Dienstag, 5. Mai 2020

Über Sebastian Kurz und seine Türkisen, Teil 1

Vor ein paar Tagen, am 19.4.2020, erschien eine aktuelle Umfrage in der Wochenzeitschrift profil, bei der die Kurz-ÖVP bei 48% liegt. Die große Frage ist nun, wer diese 48% sind: wer sind diese Menschen? Wer wählt den Populisten Kurz und Warum?
Ich habe Theorien und möchte diese der Reihe nach durchgehen, zuerst ein grober Überblick:
1. Kurz wird von einem Mittelstand gewählt, der keiner ist, der sich vor hypothetischen Erbschafts- und Vermögenssteuern fürchtet, obwohl man gar nicht betroffen wäre.
2. Kurz wird, das wissen wir spätestens seit der letzten Nationalratswahl, lustigerweise auch von ArbeiterInnen gewählt.
3. Vor allem werden die Türkisen von frustrierten Ex-FPÖ-WählerInnen gewählt.
4. Nicht unwesentlich ist die Zahl von älteren Menschen, die die Türkisen wählen.
5. Beamte wählen Schwarz.
6. Selbstständige wählen in großem Umfang die ÖVP, auch wenn sie wie jetzt nicht liefert.

Nun etwas genauer:
1. Mit einem durchschnittlichen Einkommen ist es heutzutage nahezu unmöglich, die hypothetische eine Million Euro zu ersparen, ab der man von hypothetischen Millionärsabgaben sowie Erbschafts- und Schenkungssteuern betroffen wäre. Kleines Rechenbeispiel: Jemand verdient 2500 Euro netto und erspart sich 1000 Euro monatlich. Vom 13. und 14. Gehalt erspart man sich zusammen 3000 Euro. So ergibt das jährlich 15000 Euro Ersparnis. Nach Adam Riese bräuchte man 66 Jahre, um sich die Million zu ersparen. Gar nicht eingerechnet habe ich hier, dass man in den allermeisten Berufen nicht mit einem Nettogehalt von 2500 Euro einsteigt, oder arbeistlose Zeiten haben könnte oder Fortbildungszeiten. In Österreich gehen außerdem die wenigstens Menschen mit 65 in Pension. Das Fenstern, um auf die Million zu kommen, ist also nicht allzu groß. Sagen wir, man fängt mit 25 an, zu verdienen, und verdient 40 Jahre. Ich komme bei meiner Rechnung auf 25000 Euro, die man sich jährlich ersparen muss, um mit 65 bei der Million zu sein. Das ist richtig viel Geld. Wer Notstandsbeihilfe oder Mindestsicherung bezieht, bekommt so viel Geld nicht in 2 Jahren überwiesen.
In Österreich haben ja nur wenige Menschen Ahnung von einfachster Mathematik, aber diese Rechnung sollten die meisten verstehen. Meine Message dahinter: Sollten Sie noch nie etwas geerbt haben und sollte Ihnen auch kein großes Erbe bevorstehen, werden Sie NIE von Millionärssteuern oder einer Erbschaftssteuer betroffen sein.

2. Viele ArbeiterInnen wählen Türkis wohl auch aus Angst vor Erbschaftssteuern (und zeigen damit, dass sie von Mathematik keine Ahnung haben oder einfach wunschträumen, Teil des Oberen Mittelstands zu sein), aber vor allem aus Ausländerhass. Was mich zu Punkt 3 führt. Kurze persönliche Anmekung: Es ist irre traurig, dass ArbeiterInnen eine Partei wählen, die in Wahrheit auf sie und ihre Anliegen scheißt.

3. Die Kurz-ÖVP betreibt FPÖ-Politik zwar ohne Liederbuch- und Hitlergruß-Skandale (Ausnahmen wie die berühmt berüchtigte antisemitische Facebook-Gruppe bestätigen die Regel). Man ist aber durchaus ausländerfeindlich, homofeindlich, bigott, rechtsreaktionär, unsolidarisch mit der EU usw., verbirgt das aber hinter einer perfekt funktionierenden Message Control und schafft es mit dieser, bei dem kleinsten Riss in der Fassade, von sich abzulenken. 59 PR-Leute soll Kurz laut der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der NEOS beschäftigen. Mit dieser Manpower sowie der meistgelesenen Österreichischen Tages"zeitung" unkritisch verliebt hinter sich, lässt sich JEDE Message unters Volk bringen bzw. Vieles vertuschen. Die Kurz-ÖVP ist weit von christlich-sozial entfernt, schafft es aber, sich als solches darzustellen und wird daher auch von vielen Katholiken unkritisch gewählt, weil etwa Kurz in Interviews von einer "Schöpfung" faselt, wenn er die Natur meint. Die Kirchgänger liegen ihm zu Füßen. Dass Kurz gleichzeitig einen beinharten, unsolidarischen und eiskalten anti-Ausländer-Kurs fährt, ist egal. Offiziell ist das kein Thema. Die ÖVP gilt als die FPÖ in nett, alle kaufen es ihr ab. Man bringt menschenfeindliche Politik in nettem Gewand unters Volk und wird von den Leuten gewählt, auf deren Interessen man pfeift. So wird rechtsreaktionäre ewiggestrige Politik mehrheitsfähig und die Leute merken es oft nicht einmal.

Kurz macht Politik für Reiche, Beamte, Bauern, Massentouristiker, Männer; Umweltthemen sind seiner Partei seit je ziemlich egal, die ÖVP ist eine neoliberale Partei und progressive Gesellschafts- bzw. Frauenpolitik sind ihr ein Gräuel. Kurz macht keine Politik für ArbeiterInnen, Angestellte und Alleinerziehende. Er schafft es aber, dass er auch von Menschen gewählt wird, die ihm egal sind, deren Interessen nicht auf seiner Agenda stehen. Das ist, denke ich, sein größter Zaubertrick.

Ein Vergleich von ÖVP und FPÖ