Mittwoch, 23. September 2015

Zum Feminismusstreit und unsere GegnerInnen

Einige meinen, der Feminismus wäre tot bzw. hätte seine Existenzberechtigung verloren. Er hätte sich falsch entwickelt und würde sich um die falschen Themen kümmern (zB "Gendergaga"). Sie kommen zu dieser Meinung, weil wir Feministinnen beispielsweise nicht mehr so sehr wie vor 20, 30 Jahren mit Aktionen auf den Straßen sichtbar sind. Ich kann dazu sagen, dass unser Engagement, sofern ich das beobachte, sich eher hin in den manchmal verschmähten Onlineaktivismus verschoben hat. Damit geht auch der Feminismus mit der Zeit, ohne jedoch seine Wurzeln zu verlassen. Der geschichtliche Aspekt unserer Wegbereiterinnen, Pionierinnen ist nicht vergessen, wird nur anders fortgeführt als sie sich es wohl vorgestellt haben, vorstellen konnten. Ich sage dazu ganz klar, wir dürfen in der Geschichte nicht feststecken, wir müssen uns weiterentwickeln und aktiv sein. Nur Bücher zu schreiben und über die Vergangenheit zu philosophieren ist (mir) zu wenig.
Und ja, es gibt natürlich noch Situationen dass wir auf die Straßen gehen, es gibt natürlich noch öffentlich wirksame Demonstrationen und Diskussionen. Nur sind wir in einer Zeit, in einer Stimmung angekommen, die eine Frauenfeindlichkeit bzw. aggressive Feminismusfeindlichkeit entwickelt hat, wie wohl seit Jahrzehnten nicht mehr. Das geht leider mit einer reaktionären regressiven Einstellung gegenüber Frauen (und dem Konzept Familie) einher, die ich im 3. Jahrtausend nicht mehr für möglich gehalten hätte. Es geht die Angst um, wenn sich Frauen öffentlich als Feministinnen deklarieren und/oder sich an Demonstrationen und/oder Aktionen beteiligen.
Und leider sind wir auch im Internet vor aggressivsten gewaltbereiten Hatern bzw. (rechtsradikalen) Antifeministen bzw. GenderhasserInnen nicht sicher. Es ist ein Wahnsinn, wie diese Irren mit Vergewaltigungen und schierem Mord drohen, und die Privatadressen von Feministinnen veröffentlichen. Anita Sarkeesian ist wohl das schlimmste Beispiel für den Terror, dem eine Feministin ausgesetzt sein kann.
Es ist eine Herausforderung, dass wir tagtäglich unsere Arbeit, unser Engagement konsequent weiterbringen.
Leider gibt es innerhalb des Feminismus bzw. "Feminismus" scheinbar unüberbrückbare ideologische Differenzen, die uns Zeit und Kraft kosten.
Die 3 Hauptstreitpunkte sind
  • Prostitution
  • Kopftuch (Verhüllung)
  • Der Umgang mit Transsexuellen bzw. Gender/Queerfeminismus

Zu Prostitution und Kopftuch habe ich schon gebloggt, das Thema Transsexualität (Queerfeminismus) folgt bald.

Einige (junge) Frauen versuchen, sich mit antifeministischen Artikeln respektive Büchern zu profilieren und sich dem misogynen "Männerrechtler"lager anzubiedern. Was der Sinn davon sein soll, bleibt mir verschleiert, vielleicht geht es rein um stupides Geldverdienen. Wörter wie "Genderwahn" und "Gendergaga" entlarven den pathologischen Hass dieser armen Personen, die gleichzeitig absolut keine Ahnung von Gender-Mainstreaming (G-M) haben - die meisten plappern einfach nur Vorurteile nach.

Dann gibt es noch diejenigen Frauen, die sehr wohl über G-M Bescheid wissen, die sich Feministinnen nennen, und die trotzdem gegen dieses Konzept wettern, es abwertend als Ideologie und Pseudowissenschaft abkanzeln (dazu im Beitrag zu Gender- bzw. Queerfeminismus mehr). Oftmals werden hier biologistische "Argumente" vorgebracht, wobei (absichtlich?) übersehen wird, dass sich die Genderkonzepte sehr wohl mit der Standard-Biologie vereinbaren lassen.
Sehr zu empfehlen die Reihe im Tagesspiegel zu Gender-Mainstreaming:
http://www.tagesspiegel.de/wissen/serie-gender-in-der-forschung-1-keine-angst-vorm-boesen-gender/12258504.html
Biologistisch wird auch gegen Transsexuelle gewettert.

Zurück zum Anfang des Posts. Die größten ZweiflerInnen glauben, wir könnten uns nicht um mehrere Themen gleichzeitig kümmern. Es kommt sehr oft der Vorwurf, wir würden uns nur um "Nischenthemen" wie geschlechtergerechte Sprache kümmern oder um Vorstandsquoten, die nur wenige Frauen betreffen. Ich kann dazu ganz klar erwidern: erstens können wir uns um viele Thematiken gleichzeitig kümmern. Und zweitens hat jeder Mensch, jedes Individuum eigene Probleme oder Lieblingsthemen, es lässt sich niemals verallgemeinern, ein Thema sei generell unwichtig ("Habt ihr keine anderen Sorgen?"). Wer so etwas postuliert möchte trollen, uns Zeit stehlen, und/oder ist arrogant und sollte am besten ignoriert werden (wann eine Diskussion produktiv und sinnvoll ist, ist leicht ersichtlich und dann sollten wir sie natürlich auch führen).
Die in meinen Augen wichtigsten leider noch immer ungelösten Probleme sind (die Reihenfolge spiegelt nicht die Relevanz wider):

  • Alleinerzieherinnen-Armut beseitigen >> Kindererziehung darf nicht in die Armutsfalle führen, generelle Unterhaltsvorschüsse vom Staat, wenn der Vater nicht zahlen kann oder will
  • Vereinbarkeit Beruf/Familie >> Einbindung der Männer/Väter (bezahlter Papamonat), viel mehr Betreuungseinrichtungen
  • Care-Arbeit: viel mehr Geld vom Staat, da viele Frauen ihm viel Arbeit abnehmen
  • Schließung der Lohnschere >> Lohntransparenz
  • Geschlechtergerechte/Gendergerechte Medizin
  • Geschlechtergerechte/Gendergerechte Sprache
  • Frauenquoten, wo sie Sinn machen
Wir haben also immer noch sehr viel zu tun. Fast alle der erwähnten Punkte werden seit vielen Jahren bearbeitet, aber es passiert nichts. Mir kommt oft vor, dass wir in unseren Bemühungen vorsätzlich von den Politikerinnen und Politikern geschnitten werden. Denn die Probleme sind bekannt, die Lösungsvorschläge liegen am Tisch. Angeblich fehlt es am Geld. Es ist traurig, dass für uns Frauen schon seit vielen Jahren das Geld "fehlt". Die Wahrheit ist wohl, dass es einfach nicht investiert werden will, dass wir mutmaßlich von diversen Männerbünden bzw. Habererpartien kleingehalten werden sollen. 
Was wir alle gemeinsam immer tun sollten, ja müssen, wir dürfen den Frauenhassern und AntifeministInnen keinen Platz lassen, wir müssen ihnen immer und überall Konter geben und ihre meist absurden (w)irren Thesen als solche entlarven. 
Der Feminismus ist nicht tot, er hat sich nur verändert und ist manchmal zu viel mit sich selbst beschäftigt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen